Jintanino im Interview: „Ich lüge in meinen Liedern.“

Jintanino hat dieser Tage sein Album „Vom Mittelmaß der Dinge“ Veröffentlicht. Warum er auf der Platte lügt, welche Buchtipps er speziell für Rap-Hörer hat und was seine Beweggründe sind, gerade Hip-Hop zu machen, verrät er uns in einem ausführlichen Interview.

 

Stell dich doch für die Leute, die dich noch nicht kennen, vor!
Ich heiße Jintanino, bin 24 Jahre alt, komme aus Kassel und habe gerade mein Debütalbum „Vom Mittelmaß der Dinge“ veröffentlicht.

 

Deine Texte wirken durch die Bank ehrlich und geben Einblicke in deine Gefühlswelt. Hast du manchmal Angst, dass du von der Hip-Hop-Szene, wie sie derzeit mit ihrer Aggressivität und Gewalt vorzufinden ist, falsch verstanden oder gar ausgegrenzt wirst? Kannst du dich mit der Szene überhaupt noch identifizieren?
Ich denke, dass viele Jugendliche, die derzeit für den Erfolg dieses harten Trends sorgen, mit meinen Liedern erst einmal nichts oder vielleicht nur wenig anfangen können. Damit muss man leben. Ich selbst empfinde viele Sachen mittlerweile als sehr langweilig und fühle mich einfach übersättigt. Und ich kenne viele Leute, denen es ähnlich geht, weshalb ich eigentlich guter Dinge bin, dass mein Zeug sein Publikum finden wird. In Zukunft werde ich wahrscheinlich noch radikaler meine eigene Schiene fahren. Mein aktuelles Album ist ja schon noch ein ziemlich klassisches Hip-Hop-Album geworden. Der gravierendste Unterschied ist womöglich, dass ich fiktive Geschichten aus der Ich-Perspektive erzähle. Das sorgt häufig dafür, dass viele behaupten, ich würde meine langweilige Lebensgeschichte erzählen. In fast jedem Scheißbuch wird aus der Ich-Perspektive erzählt und es handelt sich dabei so gut wie nie um den Autoren. Warum erzähle ich von “Toten Fliegen” oder vom “Bienenmann”? Ich habe diese Dinge nicht erlebt, ich denke sie mir aus und das meist aus einem ganz bestimmten Grund. Das steht auch auf meiner Internetseite: “Ich lüge in meinen Liedern.” Manche Leute kommen gar nicht auf den Gedanken, dass ein Text vielleicht auch interpretiert werden kann.

 

In dem Track „Wächter der Zeit“ gehst du auf deinen literarischen Hintergrund ein. Welche Bücher könntest du speziell dem durchschnittlichen Hip-Hop-Publikum empfehlen, das sich nicht mit der Materie beschäftigt?
Den Leuten muss klar sein, dass wenn sie rappen oder Musik hören, Texte schreiben etc., sie sich sowieso schon literarisch betätigen. 90 Prozent der Leute, die sich im normalen Leben für Literatur oder Lyrik interessieren, finden Hip-Hop einfach nur peinlich und hören lieber Coldplay oder Neil Young. Ich finde, das sollte zu denken geben. Wenn jemand einfach nur eine Kaufanregung benötigen sollte, dem empfehle ich die altbekannten großen deutschen Namen: Goethe, Schiller, Mann, Brecht oder Kafka. Die Angst, man könnte es nicht komplett peilen, ist völlig unbegründet, weil keiner es auf Anhieb peilen kann, was ein Autor mit seinem Werk bezwecken wollte. Die Zusammenhänge erschließen sich zumeist nach und nach durch Kommentare, Nachworte oder andere Werke. Man sollte kein Problem damit haben zu sagen, ich habe das Buch gelesen, aber fand es scheiße, weil die Stimmung mich so betrübt hat. Lesen ist ja nicht gleich schlau sein. Man liest Bücher wie man Filme guckt, manchmal ist es geil und manchmal eben langweilig.

 

Dein Stil wirkt sehr erzählerisch, fast schon wie ein „gerapptes Buch“. Planst du für die Zukunft auch literarisch etwas zu machen?
Ich würde gerne mal eine richtig komplexe Fantasy-Saga schreiben, aber davon bin ich noch Lichtjahre entfernt. Der ganze Literaturbetrieb ist mir einfach noch nicht vertraut genug, um ernsthaft was zu planen, zumal ich irgendwie glaube, dass ich für den ganz großen Wurf einfach noch nicht genug auf der Pfanne hab.

 

In der Biographie auf deiner Homepage schreibst du: „Was auch immer euch gerade ankotzt, ich werde nicht die Alternative dazu sein.“ Wie ist das gemeint und wieso willst du dich dagegen sträuben?
Eine gute Frage! Mir war von vornherein klar, dass ich, sollte mein Album bei den Leuten ankommen, als eine Art Alternative gegenüber dem ganzen harten Kram, der gerade angesagt ist, gehandelt werde. Darauf habe ich aber absolut keinen Bock. Ich will keinem eine gute Zeit bescheren, ich hab keinen Bock auf weiße Weste und Everybodies Darling. Ich möchte bei meiner Musik einfach das offensichtliche Actionlevel runterfahren und dafür das subtilere mehr fördern. Diese zwei Fronten hart und alternativ verstärken sich immer mehr und das gefällt mir gar nicht. Ich will in keine der beiden Ecken, weil beide im Grunde nur noch konsumieren. Deshalb gefiel mir auch der Satz, er ist so schön sperrig und macht deutlich, dass ich nicht vorhabe, den Leuten mit irgendeiner Image-Taktik zu kommen. Da bin ich selbst nämlich ziemlich sensibel. Wenn mir einer auf alternativ oder politisch engagiert kommt, schalte ich schneller auf Durchzug als wenn mir einer auf die Assi-Schiene kommt. Einfach nur die Alternative zu sein, wäre mir viel zu selbstgefällig.

 

Kannst du etwas über deine Beweggründe, warum es gerade Hip-Hop ist, sagen?
Hip-Hop ist die Musik, die ich am meisten mag und vor allem auch am besten verstehe. Sie ist sehr nah am Leben, kann viel bewirken und ist äußerst flexibel und vielfältig. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich mich hier am besten ausleben kann. Leider gibt es immer mehr Leute, die unsere Kultur schon aus Prinzip scheiße finden, weil sie nur die Gewalt, den ganzen Bling Bling und die Bitches in den Videos sehen. Doch ich hoffe, mit meiner Musik für ein wenig mehr Bandbreite sorgen zu können. Battles und Disses sind natürlich auch Teil der Bewegung, ich mache auch gerne mal einen aggressiven Track, aber nur die eine Schiene zu fahren, wäre mir persönlich einfach zu langweilig.

 

Welchen „totgesagten“ Künstler würdest du dir in die heutige Zeit zurückwünschen?
Definitiv Bill Withers. Dieser Kerl hat uns schon so manchen Grillabend verfeinert. Er schafft diesen Balanceakt, zum einen Lebensfreude auszustrahlen, aber dabei nicht so gönnerhaft zu wirken. Außerdem ist er in der Lage, mit simplen Worten tiefe Emotionen auszulösen. Und er wirkt absolut ehrlich. Im Gegensatz dazu können diese ganzen aktuellen R’n’B-Spezialisten wie Usher und Mario aber mal ganz schnell nach Hause gehen.

 

Kannst du für dich selber mit dem Mittelmaß zufrieden sein?
Leider nein. Gerade das ist ja das Dilemma, nämlich das die kontinuierliche Unzufriedenheit zu einem permanenten Mittelmaßzustand führt. Wenn ich heute 50.000 Euro gewinnen würde, dann wäre ich die ersten Momente überglücklich, aber nach wenigen Minuten würden mir schon wieder Dinge in den Kopf kommen, für die das Geld nicht mehr ausreicht, die ich aber meine, auf jeden Fall haben zu müssen. Hat sich das kapitalistische Denken erst einmal in dein Gehirn gebissen, ist Schluss mit der Glückseligkeit.

 

Wann hört für dich ein schönes Handwerk auf und Kunst beginnt?
Interessante Frage. Ich glaube, der Übergang ist fließend und auch extrem personenabhängig. Für mich hat eine Definition von Kunst auch immer was mit dem eigenen Entwicklungsstand zu tun. Konnte mich das Werk eines Künstlers gestern noch beeindrucken, so finde ich es morgen vielleicht schon scheiße, weil ich dann verstanden hab, wie der Künstler es gemacht hat, was ihn dabei motiviert hat, etc. Ein wirkliches Kunstwerk ist für mich dann gegeben, wenn es potentiell komplett begriffen und sogar imitiert werden kann und trotzdem nichts von seiner Faszination und Schönheit einbüßt. Das wäre das perfekte Qualitätsmerkmal, weil es beweisen würde, das Handwerk und Intention perfekt miteinander harmonieren und im Grunde sogar ausschließlich das Kunstwerk ausmachen.

 

Schnellfragerunde, sag was zu den Schlagwörtern! Honig?
Bienenmann.

 

WM 2006?
Hab ich völlig Bock drauf! Aber völlig!

 

Fehler machen?
Kommt vor. Sonst wär’s langweilig.

 

Deutschland?
Meine Heimat.

 

Geister?
Jeder hat welche, bei manchen sieht man sie deutlich.

 

Auto oder Fahrrad?
Auto.

 

Dorf oder Stadt?
Bei mir? Erst das Eine, dann das Andere und wenn ich alt bin wieder das Eine.

 

Zufall oder Schicksal?
Beides Quatsch.

 

Kassel oder der Rest der Welt:
K-A-S-S-E-L! Scha-la-la-la!

 

Elektrische oder normale Zahnbürste?
Welcher Depp hat denn schon eine elektrische Zahnbürste?

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