Interview: MC Luxusliner

Was erst einmal wie ein schlechter Scherz klingt, ist sein Ernst: Der Liner goes Pop. Ja, Pop im Sinne von Reißbrettsängern mit geöffnetem Hemd und Jungsgruppen mit einstudierten Tanzchoreografien. MC Luxusliner erklärt hiphopstuttgart.de im Exklusivinterview, was das bedeutet und warum er trotzdem näher an der brennenden Mülltonne als an der 90er-Jahre-Party ist.

 

Nicht erst seit Cros kometenhaftem Aufstieg im letzten Jahr gehören Rap und Pop zusammen wie Kaffee und Kuchen. Doch die Melange, die früher mit den Falcos, Eurodance-G.I.s oder Eiscremekaspern noch aus den Hirnen gewiefter Major-Label-Produzenten spross, ist heute längst ein urbanes Erzeugnis, das mitten aus der Szene kommt. Denn wer sich heutzutage von ganzem Herzen für HipHop entscheidet, hat in der Regel nicht nur die Neue von Kendrick Lamar auf dem gut sortierten mp3-Player, sondern möglicherweise auch Liedgut von Gitarren- und Schlagzeugfetischisten wie Biffy Clyro oder Coldplay. Alles ist möglich in dieser wunderschönen, neuen und hippen Musikwelt. Möchte man meinen.

 

„Ich habe irgendwie das Gefühl, dass man von gewissen Leuten, die sich als reale HipHopper bezeichnen, nicht mehr als vollwertiger Rapper wahrgenommen wird, sobald man in andere Musikrichtungen – wie zum Beispiel Pop – abdriftet“, gibt MC Luxusliner auf die Frage nach seiner Mischung aus Rap und Chartmusik zu Protokoll. Denn der Liner ist kein baggytragender Traditionalist mit New-York-Dauerkarte, aber auch kein 21th Century Digital Boy, der HipHop in Internetforen kennengelernt hat. Auf kitschige Bosson-Instrumentale rappen und trotzdem die Fahne für den Hip to the Hop hochhalten, muss sich in seiner Welt nicht beißen.

 

Doch beginnen wir am Anfang. Auf dem Höhepunkt des ersten großen Deutschrap-Hypes 2000 begann Gianpaolo – wie MC Luxusliner mit bürgerlichem Namen heißt – mit dem Texten von Rap-Songs. Vornehmlich auf bekannte Ami-Beats produzierte er mit seiner Hifi-Anlage und einem billigen Elektronikmarkt-Mikro drei Alben. 2005 lernte er H-Roc und Phatz Brown kennen, bei denen er nach fünf Jahren einsamer Aktivität zum ersten Mal einigermaßen anständige Tracks recorden konnte. Die drei gründeten die Crew In Ur Face Entertainment, brachten jedoch wegen unterschiedlicher musikalischer Vorstellungen nie ein gemeinsames Projekt heraus. 2009 folgte dann über ReimDaHeim Entertainment das erste richtige Lebenszeichen des MC Luxusliners. „Neue Bewegung“ war ein Mixtape mit 14 Anspielpunkten, das von eigenproduzierten Tracks bis hin zu ersten Ausblicken auf seine Pop-Lieberhaberei alles beinhaltete, was die Künsterlpersona MC Luxusliner bis heute ausmacht.

 

2013 hat sich der Liner von allen Dogmen befreit und macht das, was ihm Freude bereitet. Doch er möchte dabei stets klarstellen, dass er nicht der Ballermann-Kasper ist, der Talentfreiheit mit billigen Effekten kaschiert. „Vielleicht mache ich viel Popmusik zur Zeit, aber ich habe nicht das Rappen verlernt“, reagiert er auf kritische Fragen über sein neustes Werk „Liner goes Pop“. Auf bekannte Instrumentals aus den Charts zu rappen, ist unter Szenemenschen so alt wie umstritten. Nicht jeder wird positiv reagieren, wenn MC Luxusliner „One In A Million“ anstimmt und sich damit eigentlich nach typischer HipHop-Representer-Manier ordentlich selbstfeiert.

 

 

MC Luxusliner: Da ist ein sehr großes Augenzwinkern dabei, weil ich ganz genau weiß, wie solche Sachen wirken. Ich lache mich bei so was wie dem Bosson-Song ja selber kaputt. Auf der anderen Seite ist das aber trotzdem etwas, was ich feiern kann. Deshalb ist dieses Projekt jetzt auch keinerlei Verarschung. Überhaupt nicht. „Liner goes Pop“ ist einfach etwas, was mir persönlich Spaß macht und ich hoffe, dass es eben andere Leute gibt, denen das genauso Freude bereitet. Und davon abgesehen, sind auch langsamere Balladen drauf, die völlig ohne Augenzwinkern und sehr ernst gemeint sind. Die werden das Tiefgründigste, was ich je von mir gegeben habe.

Wie reagierst du auf Kritiker, die dir wegen der „geklauten“ Beats Ideenarmut vorwerfen?

MC Luxusliner: Das finde ich total albern. Die Songs sind zwar immer relativ nah am Original gehalten, aber nicht textlich. Vielleicht nehme ich für den Refrain die Melodie aus dem Originalsong, aber darin sehe ich jetzt nicht den argen Unterschied, ob ich einen Song cover oder ein anderer Rapper von seinem Kollegen einen Beat kriegt. Daher schmälert das als Rapper in keinster Weise meine Leistung.

 

Der Liner hat nicht die Freunde komplexer Liedstrukturen im Auge, wenn er Songs von Usher oder Pitbull neu interpretiert, sondern ganz klar die Menschen vor der Bühne. Livetauglichkeit steht im Vordergrund und auch wenn er nun mit „Liner goes Pop“ ein ordentliches Sortiment an Chartsongs im Repertoire hat, wird er zukünftige Konzerte nicht ausschließlich mit diesen bestreiten. Trotzdem erkennt er die Chance, mit den Popsongs Menschen zu erreichen, die sich vielleicht selbst nicht als HipHopper bezeichnen würden. Kritik seitens der HipHop-Wächter hält er dabei selbstverständlich für nachvollziehbar. Auf die Frage, ob er dabei bestimmte Interne aus der lokalen Szene im Kopf hat, weicht er aus und nennt natürlich keine Namen. „Ich habe einem Kollegen neulich erzählt, dass das neue Album ‚Liner goes Pop‘ heißen wird und seine Reaktion war ‚Ach, du scheiße‘.“

 

MC Luxusliner ist eine gewisse Vielseitigkeit in seiner Musik wichtig. Der Gefahr, ein verwässertes Produkt ohne roten Faden abzuliefern, ist er sich dabei bewusst. Doch warum macht er es trotzdem? Weil er Lust darauf hat und es kann! Ein weiterer Punkt dieser Diversität ist seine Heimatverbundenheit, die er mit Stuttgart-Liebesbekundungen des Öfteren zur Schau stellt. Er möchte die Flagge oben halten für die Schöne hier im Süden. Der Liner ist sich sicher, dass Rap aus Stuttgart gut ist und dass das auch auf nationaler Ebene wieder in die Köpfe der Leute kommen sollte.

 

 

MC Luxusliner: Jay, Open Mike oder Smoke T sind zum Beispiel Leute, die ich extrem feier und die auch einen größeren Ruhm verdient hätten. Die könnten auf jeden Fall in dieser deutschlandweiten HipHop-Szene mithalten. Wenn du dir mal die „Halt die Fresse“-Staffeln durchklickst und schaust, wer da alles so Präsenz und Fans kriegt, finde ich das sehr ungerechtfertigt.

Jetzt verteidigst du die lokale Szene. Hast du das Gefühl, dass du von dieser auch entsprechend gewürdigt wirst?

MC Luxusliner: Bestimmt nicht von allen. Ich habe immer so ein bisschen das Gefühl, nicht dazuzugehören. Was durch das Abdriften in diverse andere Richtungen vielleicht auch ein Stück weit meine Schuld ist. Aber ich habe meine Leute um mich herum, die feiern und respektieren, was ich mache. Keiner wird behaupten können, dass die Songs auf „Liner goes Pop“ nicht gut gerappt sind. Dagegen kann man nichts sagen, als dass das nicht den eigenen Geschmack trifft. Es gibt auch genügend Rapper, die sehr gut rappen, deren Produkt mir aber überhaupt nicht gefällt.

 

Wir haben mittlerweile gelernt, dass sich der Liner seiner polarisierenden Wirkung bewusst ist. Seine Reaktion darauf ist ein Verweis auf Rap-Technik, die für ihn trotz aller Kitschbeats einen hohen Stellenwert hat. Ein Gefühl für Wörter oder mehrsilbige Kettenreime ist unerlässlich und auch in seiner Welt ein wichtiges Thema. Für den größten Rapper aller Zeiten hält er sich trotzdem nicht. Schwächen hat jeder und auch MC Luxusliner gibt zu, dass sein Flow manchmal abwechslungsreicher sein könnte. Der studierte Sozialarbeiter ist bei aller Jugendlichkeit, die er sich bewahrt hat, kein Idiot, der sich die rosarote Brille aufsetzt und unantastbarer Rapstar ohne Fehler spielt. Als Streetworker ist er nah dran am vermeintlichen HipHop-Zielpublikum. Seine Kids wissen, dass dieser Gianpaolo nach Feierabend zum MC Luxusliner wird.

 

MC Luxusliner: Meine Kids wissen, was ich da mache und kennen die einen oder anderen Songs. Die kommen dann auch ganz oft mit irgendwelchen Sachen und fragen mich, wie ich das finde. Oder wenn sie selber mal einen Text schreiben, fragen sie mich auch um Rat. Es freut mich sehr, dass die Wert auf meine Meinung legen, sich Tipps von mir zu Herzen nehmen, obwohl die Musik, die ich mache, ja gar nicht die ist, die die hören. Die Kids feiern halt hauptsächlich Rap von Celo & Abdi, Haftbefehl oder Fard und das ist ja total fern von dem, was ich mache. Ich kann aber sehr gut mit denen darüber reden und sie auch mal zum Nachdenken über die Musik anregen.

 

Wenn der Liner tagsüber den seriösen Sozialarbeiter gibt und abends Zeilen wie „das Game ist wie die Stuttgarter Mädels, ich habe sie alle gefickt“ schreibt, fragt sich der kritische Hörer zurecht, wie der 31jährige das rechtfertigt.

 

MC Luxusliner: Meine Intention beim Schreiben ist es, Spaß beim Hörer zu erzeugen mit Dingen, die mir auch Spaß machen würden. (lacht) Ich finde es super, dass du die Zeile mit den Stuttgarter Mädels zitiert hast, weil das so eine überragende Zeile ist. Das sieht man schon daran, dass du mich jetzt darauf ansprichst. Es kamen auch schon Kids bei der Arbeit zu mir und meinten „Hey Liner, ich habe dein Album gehört und du hast alle Stuttgarter Mädels gefickt“. Auf einem Album, das insgesamt fernab von dieser Thematik ist, bringe ich einen derartigen Spruch und der bleibt den Leuten im Kopf kleben.
Glaubst du, den Leuten bleibt diese Zeile im Kopf kleben, weil sie die cool und innovativ oder weil sie die komisch finden?
MC Luxusliner: Das ist mir total egal, weil sie im Kopf hängenbleibt. Und darum geht es mir. Es haben mich auch schon viele auf so Sachen wie „Homo-Promo“ angesprochen.

Du bist halt ein Mensch, der professionell mit Kids zu tun hat und verwendest dann ein Wort wie „schwul“ im negativen Kontext.

MC Luxusliner: Ich weiß, dass es da verschiedene Ansichten gibt. Das ist aber ein Wort, das in meinem Sprachgebrauch seit 15 Jahren existiert. Ich habe ja auch schwule Freunde, von denen ich weiß, dass die damit überhaupt kein Problem haben. Klar, es ist eigentlich nicht korrekt, aber man macht sich bei Wörtern wie „geil“ oder „fett“, wo der Wortursprung von woanders herrührt, ja auch keine Gedanken. Schwul wird in diesem Fall zwar als Synonym für schlecht verwendet, aber es ist einfach so in meinem Sprachgebrauch drin. Und wenn du dir die Musik anhörst, kannst du ja nicht wirklich glauben, dass ich etwas gegen Schwule hätte. Was ich auch definitiv nicht habe. Ich bin einfach nicht so pingelig. Und auf sowas haben mich meine Kids auch noch nie angesprochen, da das in deren Sprachgebrauch ebenfalls drin ist. Ganz im Gegenteil, ich hatte schon super Unterhaltungen über Homosexualität mit meinen Kids, da die gar keinen so richtigen Plan hatten, was Homo-, Hetero- oder Bisexualität überhaupt ist. Ich kann aber auch verstehen, wenn das jemanden stört. Damit muss ich dann aber leben.

 

Szenenwechsel. Stuttgart-Mitte, die Wohnung von Liners immer noch aktuellem Bühnenpartner H-Roc. Der Videodreh zu „One In A Million“ steht auf dem Plan. Die Küche wird zum Club. Die Komparsen bestehen aus 20 bis 30 Freunden. Die lokale Szene ist nicht vertreten. Der Alkohol fließt, die Stimmung ist gelöst, jeder Anwesende hat Spaß. Nach einem Dutzend Durchgängen sind alle in absoluter Feierlaune und grölen Bossons Ohrwurmrefrain mit. MC Luxusliner ist an diesem Abend eher Gianpaolo und teilt jedem Beteiligten persönlich mit, dass er sich über seine Anwesenheit freut.

 

Ein weiterer Szenenwechsel. Spontanes Konzert im Rahmen der Ausstellung „Projekt Kollektives Kunstgedächtnis“ in Bad Cannstatt. Zusammen mit H-Roc steht der Liner in einem engen Gewölbekeller und spielt eine halbe Stunde besagter Mischung aus Pop-Rap und Rap-Rap. Das nicht eingeweihte Publikum freut sich über diese beiden Rapper mit ihrem leicht zugänglichen HipHop. Berührungsängste werden im nu zerschlagen. „Macht alle mit“-Gesten statt coole Rapper-Posen. Dieser Auftritt war ein Erfolg.

 

MC Luxusliner ist ein anpassungsfähiger Rapper, der den authentischen Spagat zwischen Open-Mike-Kollaboration und Jugendhaus-Kinderdisko schafft. Ein loyaler Typ, der noch die gleichen Freunde wie vor 20 Jahren hat und neue Gesichter mit einer Offenheit begrüßt, die ihn sofort sympathisch erscheinen lässt. Und genau deshalb ist er manchmal vielleicht ein Rapper, der bei karitativen Auftritten vor Schulklassen, Bürgermeistern und Sozialarbeitern besser aufgehoben ist, als auf der nächsten beinharten HipHop-Jam. So sehr HipHop, dass er außerhalb der Szenemauern die Szene optimal repräsentieren kann und so wenig HipHop, dass er innerhalb der Szene diese Mauern einreißen könnte. So oder so wird „Liner goes Pop“ eine spannende Angelegenheit werden, die eines definitiv nicht sein wird: Langweilig.

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