Review: Nerve

Pokémon im Brooklyn Bridge Park zu sammeln war gestern. Die New Yorker Jugend spielt neuerdings „Nerve“. Dave Franco und Emma Roberts sind ganz vorne mit dabei.

 

Das Regie-Tag-Team Henry Joost und Ariel Schulman ist für Freunde der leichten Kinounterhaltung kein unbekanntes Gespann. Gemeinsam haben sie Teil 3 und Teil 4 der deutlich an Relevanz verlorenen „Paranormal Acitivity“-Reihe auf den Weg gebracht. Nun haben sie mit „Nerve“ den 2012 unter dem gleichen Namen erschienenen Jugendroman von Jeanne Ryan verfilmt. Ein Thriller, in dem junge New Yorker ein Smartphone-Spiel spielen, bei dem sie immer waghalsigere Challenges erfüllen müssen, während der sensationsgeile Rest anonym per App zuschaut. Für Joost und Schulman ist die filmische Vermischung von Realem und Digitalem nix Neues. Bereits 2010 haben sie mit „Catfish“ eine erfolgreiche Dokumentation veröffentlicht, in der ein junger Mann über Facebook eine romantische Beziehung mit einer unbekannten Frau aufbaut. Zwei Jahre später folgte eine Serie, die auf dem Film basiert.

 

Bist du Player oder Watcher???

 

Auch in „Nerve“ gibt es romantische Momente, was bei einem Hauptdarsteller-Duo bestehend aus Dave Franco und Emma Roberts niemanden verwundern dürfte. Doch die Liebe ist nicht das Hauptthema in einem Film, der von der ersten Szene an die zu Digital Natives geborenen Jugendlichen abholen möchte. Vee, gespielt von Roberts, möchte sich und ihrer Freundin beweisen, dass sie kein langweiliger Stubenhocker ist und meldet sich bei Nerve als Player an. User, die sich dort als Watcher registriert haben, dürfen nun dabei zu sehen, wie sich die Schülerin aus Staten Island durch immer schwieriger werdende Aufgaben schlagen muss. Das fängt beim Küssen eines Fremden an und macht nicht vor dem Motorradfahren mit verbundenen Augen bei 60 Meilen pro Stunde Halt. Umso besser sie sich schlägt, umso anspruchsvollere Herausforderungen werden ihr von den Watchern gestellt. Während ihrer ersten Challenge trifft sie auf den von Franco gemimten Ian, den Watchern gefällt das und fortan müssen sie die Prüfungen mit ihren Smartphones gemeinsam bestehen.

 

Ein derartiges Spiel ansatzweise logisch darzustellen, ist so unmöglich wie Tim Cook ein Betriebssystem von Microsoft aufzuschwatzen. Abgesehen vom finalen Twist gelingt es der Geschichte jedoch erstaunlich gut, dass man sich zumindest nicht an den Ungereimtheiten so mancher Spielregel stört. Wir sehen, was sowohl Player als auch Watcher tun müssen, um auf ihre Art und Weise an Nerve teilzunehmen. Der Zuschauer versteht dadurch den Reiz an der Sache und kann sich in die Welt hineinversetzen. Herausforderungen wie die mit einer Leiter, welche in schwindelerregender Höhe als Brücke zwischen zwei Hochhäuser passiert werden muss, sind nervenzerreißend inszeniert und gewinnen durch die zwischen Profi- und Handykamera wechselnden Bilder zusätzlich an Intensität. Das immer wiederkehrende Einblenden von Spielgrafiken in der realen Welt unterstreicht das einnehmende Gefühl, sich trotz realem Schauplatz in einem Spiel zu befinden.

 

Cliquenklischees und eine simple Botschaft

 

Leider sind die Figuren relativ austauschbar und wirken wie das Best-Of von Cliquenklischees. Vee ist die Miss Perfect, die kurz vor dem Studium in der Phase der Orientierungslosigkeit feststeckt, Ian ist der geheimnisvolle Draufgänger mit Herz, Sydney die Männer verschlingende Rebellin, die nur versucht, ihre innere Leere zu kompensieren und Tommy der hoffnungslos in Vee verliebte Nerd, der wahrscheinlich für immer und ewig in der Friendzone gefangen ist. Da passt die etwas oberflächlich präsentierte Botschaft des Films, dass man im Internet unter dem vermeintlichen Mantel der Anonymität nicht jeden Mist machen darf, nur zu gut ins Bild. „Nerve“ ist eben doch bloß ein kleiner Zwischendurchhappen für junge Menschen, deren Lebensrealität stark geprägt ist von Social Media und der nächsten großen Sause mit der aktuell angesagten EDM-Playlist. Bei so viel Simplizität freut man sich, dass der Film dennoch das eine oder andere Easter Egg für Entdeckungsfreudige parat hält. Stichwort: „Is James Franco too smart?“

 

„Nerve“ ist stellenweise tatsächlich cool. Leider geht diese Coolness allzu oft in einer deutschen Synchronisation verloren, die selbst beim Zitieren von sonst todsicheren Wu-Tang-Clan-Zeilen peinlich wirkt. „Scheiße, du hast geloost“ würde nicht einmal die hippste Großstadtschulklasse ungestraft aussprechen. Klar, dass da auch ein charismatischer Nebendarsteller wie Machine Gun Kelly, der hauptberuflich Puff Daddys Lieblings-Rapper und laut unkreativen Pressevertretern der neue Eminem ist, in der Übersetzung nur verlieren kann. Pardon, nur loosen kann. Wer diese Pille schluckt, vielleicht gleich auf den Originalton zurückgreift und über das im Stile von Ridley Scotts „Gladiator“ inszenierte Finale hinwegsieht, kann mit „Nerve“ wahrlich Spaß haben. Der Film hat versucht eine eigene Welt zu kreieren, die am Zeitgeist kratzt, und dies mit ein paar Abstrichen auch geschafft.

 

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