Review: Zugezogen Maskulin – Alle gegen Alle

Zwei Jahre nach „Alles brennt“ liefern Zugezogen Maskulin mit „Alle gegen Alle“ ein Update zur Lage der Nation ab. Schlechte Laune muss trotzdem niemand kriegen.

 

„What a time to be alive, ohne Seuchen, ohne Krieg / hundert Jahre Langeweile dank moderner Medizin / ohne Staat und Kollektiv, wie schlägt man da die Zeit tot? / Beisenherz, Dagi Bee, Snapchat, Psaiko.Dino“, rappt Testo in der ersten Strophe von „Was für eine Zeit“ und setzt damit den Ton von „Alle gegen Alle“ – die neue Platte von Zugezogen Maskulin. „Alle gegen Alle“ ist eine Bestandsaufnahme der Generation Social Media. Wer jedoch glaubt, Grim104 und Testo konzentrieren sich darauf, hochnäsiges Hipster-Gebashe zu betreiben, wird sich neu ordnen müssen. „Alle gegen Alle“ geht tiefer und beschreibt Zusammenhänge, statt nach oberflächlichen Lösungen zu suchen. Dabei ergänzen sich der stimmlich aufgedrehte Grim104 und der straight rappende Testo wie das Instagram-Model und die Produktplatzierung.

 

Weil die Menschen nicht nett zueinander sind, sind Zugezogen Maskulin nicht nett zu den Menschen. „Alle gegen Alle“ ist ein Album, das klingt, als hätten nicht die Tragödien der Welt, sondern der Umgang mit ihnen, zwei sozial eingestellte Personen ruiniert. Während in den dunkeldeutschen Provinzen die Flüchtlingsheime brennen, wird in den hippen Szenebezirken diskutiert, welches Craftbeer am besten schmeckt. Der Horror wird ausgeblendet. Stattdessen wird der Welt mit Ironieklamotten und der Frage nach einem offiziellen Statement begegnet. Zugezogen Maskulin macht diese Ignoranz hörbar wütend. Sie hassen alle und werfen den Hörern, die sich damit identifizieren können, einen musikalischen Rettungsring zu.

 

Doch Testo und Grim verzichten auf Zeigefinger. Auch sie haben in ihrer Sturm-und-Drang-Phase kiffend den Arschficksong gegrölt, wie sie in „Yeezy Christ Superstar“ berichten. Immer dann, wenn sie über ihr eigenes Handeln reflektieren, trumpft die Platte auf. So rappen sie in „Nachtbus“ über die Unterschiede zwischen Dorf und Stadt, um festzustellen, dass sie mit beidem nicht klarkommen. „Ja, ich hasse alle / mit der Außenwelt im Krieg / häng allein in meiner Höhle / und sing dir davon ein Lied“, eröffnet Testo seine Strophe und gibt damit nicht das coole Bild des Typen ab, der die Welt verstanden hat und versucht andere zu belehren. Er fühlt sich viel eher missverstanden und überlastet, lächelt lieber dämlich überfordert, als irgendetwas sinnvolles zu tun.

 

Die Instrumentale, Texte und Flows sind alles andere als smooth. Musik, die während des Geschlechtsverkehrs oder der Bearbeitung der Steuererklärung gehört werden kann, klingt anders. Dafür definieren sich die zwölf Lieder zu sehr über die Inhalte. Was „Alle gegen Alle“ trotzdem hoch anzurechnen ist: Bei all der inhaltlichen Kratzbürstigkeit beendet der Hörer das Album nicht mit schlechter Laune. Das liegt an den Hooks und Beats, zu denen während der nächsten Festivalsaison ausgiebig im Matsch gebadet werden kann. Am besten mit Gleichgesinnten, die ihre Bierbecher bei Viva con Agua abgeben. „Alle gegen Alle“ ist ein musikalisch so gutes wie inhaltlich wichtiges Album für eine Generation, die anfangen muss, sich über die richtigen Dinge aufzuregen.

 

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