Review: Until Dawn

Mit „Until Dawn“ bekam die PlayStation 4 einen weiteren Exklusivtitel spendiert, der dir das Fürchten lehren soll. Ob die T-Shirts durch das Horrorspiel oder doch nur durch die sommerlichen Temperaturen durchgeschwitzt wurden, erfahrt ihr in der Review.

 

Ein Jahr nach dem vermeintlichen Unfall von Hannah und Beth treffen sich acht Freunde erneut in der Berghütte, in der sie ihre Freundinnen bzw. Schwestern auf so tragische Art und Weise verloren haben, um mit der Sache abzuschließen und noch ein letztes Mal ordentlich zu feiern. Doch statt der erhofften Tequila-Shots fließt ordentlich Blut. Ein unerwarteter Gast tritt auf den Plan und verarbeitet die acht Teenies zu Hackfleisch. Es sei denn, der Spieler weiß dies zu verhindern. Denn im PlayStation-4-Exklusivtitel „Until Dawn“ von Supermassive Games entscheidet sich durch das Verhalten des Spielers, wer bis zur Morgendämmerung überleben darf. Ein kleiner aber feiner Hype ist in den letzten Monaten um das Spiel aufgekommen, das in der Tradition von Horrorfilmen wie „Scream“ oder „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ steht. So ambitioniert das Projekt mit seinem „Schmetterlingseffekt“-System und seiner Blockbuster-Attitüde zu sein scheint, so leicht kann es auch ein Flop werden, der wenig gruselig und spielerisch eine völlige Nullnummer ist. Entwickler Supermasive Games sind mit ihrem Portfolio bestehend aus den PlayStation-Move-Games „Tumble“ und „Start The Party“ nicht gerade die vertrauenserweckendsten Zeitgenossen, wenn es um Qualität für die großen Story-Spiele geht. Doch ähnlich wie den Kids im Spiel, geht es auch den Spielern: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

 

Eine große Horror-Sause mit durchgeschwitzten T-Shirts?

 

Den Gruselfaktor eines Horrorspiels misst man an Controllern, die beim Zocken den Geist aufgeben. Vor Angst greift man so fest zu, dass das Spielgerät unter dem Druck gepaart mit all der Flüssigkeit von den schweißnassen Handflächen kollabiert. Nein, natürlich nicht, doch wie investiert ist man beim Spielen von „Until Dawn“ tatsächlich? Wie sehr kann einen die furchterregende Stimmung abholen? Gleich vorweg: „Until Dawn“ wird den Spieler hier und da Aufschrecken lassen, die ganz große Horror-Sause mit durchgeschwitzten T-Shirts und Augen, die immer seitlich neben den Bildschirm gucken, ist das Game aber leider nicht geworden. Wieder einmal sind Jumpscares das bevorzugte Mittel der Macher, um euch vom Sofa hüpfen zu lassen. Das passiert teilweise so häufig, dass man bei längeren Zocker-Sessions nur noch müde Lächeln kann, wenn wieder irgendein Tier aus dem Gebüsch springt. Schöne Kameraeinstellungen beim Betreten von Räumen, die dem Spieler mulmige Elemente wie Totenköpfe oder Ratten direkt vor die Augen donnern, zeigen, dass Supermassive Games trotzdem ein anständiges Gespür für Horror-Atmosphäre haben. Auch Splatter spielt eine gewisse Rolle, denn blutrünstig geht es in dem auf der „Killzone: Shadow Fall“-Engine basierenden Spiel durchaus zu. Wer weder Gedärme, verweste Leichen noch abgehackte Finger sehen kann, sollte sich den Kauf noch einmal überlegen.

 

 

„Until Dawn“ ist spielerisch ein Stück weit limitiert. Wie man es von Genre-Geschwistern à la „Life Is Strange“ oder „The Walking Dead“ kennt, müssen Entscheidungen getroffen, Quick-Time-Events bestanden und die Umgebungen nach nützlichen Gadgets untersucht werden. Doch wo ein „Life Is Strange“ und gerade die erste Staffel von „The Walking Dead“ hauptsächlich durch ihre packenden Geschichten Millionen von Spielern vor die Bildschirme fesselten, stellt „Until Dawn“ trotz der Einfachheit des Gameplays dieses deutlich stärker in den Fokus. Völlig irrelevante Aktionen wie das Umblättern von Buchseiten werden durch Wischen über das Touchpad des Controllers ausgeführt, vermeintlich kleinste Entscheidungen haben dank des „Schmetterlingseffekt“-Systems auf den Ausgang der Geschichte Einfluss und die etwas ausgelutschten Quick-Time-Events kommen häufiger zum Einsatz als Roy DeSoto und John Gage in einer Folge „Notruf California“. „Until Dawn“ möchte ein spielbarer Film sein, der am Ende dennoch nicht vergisst, dass er ein Spiel ist. So macht selbst das Leuchten mit der Taschenlampe Spaß, wenn man wieder einmal hektisch durch die dunklen Kulissen wandert und nach irgendetwas sucht.

 

 

Leider nimmt dieses Absuchen der Schauplätze dem Spiel einiges an Atmosphäre. Statt mich voll und ganz in die detaillierte und stellenweise atemberaubend designte Winterlandschaft fallen zu lassen, suche ich wie ein menschlicher Scanner den Bildschirm nach Collectibles ab, die – verteilt in der kompletten Spielwelt – weitere Geheimnisse und Hintergründe zur Geschichte verraten sollen. Schade, denn rein optisch hat „Until Dawn“ ziemlich viel richtig gemacht. Das ursprünglich auch für die PlayStation 3 angekündigte Spiel sieht auf der PlayStation 4 fantastisch aus. Mimik und Gestik der Protagonisten kommen so nah an die Realität heran wie kaum ein anderes Game. Man sieht es den Figuren im wahrsten Sinne des Wortes an, wenn Sie einen Geist gesehen haben. Kaputt macht das aber leider wieder die deutsche Tonspur. Dass diese nicht immer lippensynchron ist, kann man verkraften, die teilweise wirklich alberne Intonation macht aber auch den ernstesten Teenie-Horrorfilm zur „Scary Movie“-Verarsche. Dafür stimmen die restlichen Sounds, die aus den Lautsprecherboxen kommen. Vom Laufen durch den Schnee bis zum Wolfsgeheul hat sich die SFX-Abteilung mächtig ins Zeug gelegt, um dem visuellen Realismus auch auf akustischer Ebene gerecht zu werden.

 

Willkommen bei den coolen Kids!

 

Es ist, wie in eine neue Schulklasse zu kommen. Man trifft auf viele neue coole Kids, die alle ihre eigene Rolle ausfüllen möchten, man braucht aber sowieso erst einmal bis zu den Winterferien, um sich überhaupt die Namen merken zu können. Ganz so lange dauert es in „Until Dawn“ zwar nicht, bis man Josh, Jess, Mike, [hier bitte noch einen x-beliebigen 0815-Namen einfügen] und Co kennengelernt hat, doch etwas überfordernd ist die Konfrontation mit so vielen neuen Gesichtern trotzdem. Da atmet man ja fast schon auf, wenn das erste Kanonenfutter Adieu sagt. Obwohl: Auch wenn so mancher Dialog der Spielemoment des Jahres in der Kategorie „Fremdscham“ sein könnte, wächst einem diese furchtbar infantile Ansammlung von High-School-Quaterbacks, Cheerleaderinnen und baldigen Berufserben ans Herz. Das immer wieder dumme Verhalten der Figuren lässt sich mit der Zeit locker ignorieren und kann stattdessen mit der Spielmechanik begründet werden. Denn dass sich beispielsweise die acht Freunde nach einem Jahr wiedersehen und statt als Gruppe zusammenzustehen und Neuigkeiten auszutauschen, jede Figur lieber isoliert in einer Ecke der Szene wartet, damit ich sie als Spieler einzeln ansprechen kann, macht spielerisch vielleicht Sinn, aber definitiv nicht erzählerisch.

 

 

Maskenmörder, heruntergekommene Heilanstalt, Dämonen und Sagenwesen: Die Geschichte, die so stringent begann, wird nach hinten raus immer wilder und möchte damit wohl alle Horrorklischees bedienen. Kurze Sequenzen, in denen man zwischen den Kapiteln aus der Ego-Perspektive mit einem Psychiater spricht, zeigen, dass die Macher vielleicht etwas zu viel wollten. Einfache dafür aber gutgemachte Teenie-Horrorfilm-Kost hätte es ruhig bleiben können. Dennoch ist „Until Dawn“ ein lohnenswerter Titel mit hohem Wiederspielwert, der Entdeckungsfreudige mit freispielbaren Bonusinhalten wie Behind-The-Scene- und Making-Of-Material belohnt. Wer diesen Sommer noch einmal mit seinen Spielfiguren leiden möchte, macht mit „Until Dawn“ bei häppchenweisem Konsum nichts falsch. Der Must-Have-Titel, für den man sich eine PS4 kaufen sollte, ist das Spiel aber leider nicht geworden.

 

PS: Bei mir haben übrigens zwei von acht Figuren überlebt.

 

3 Comments

  1. Danke für die ausführliche und innovative Review. Hätte ich eine PS4, würde ich mir den Titel höchstwahrscheinlich holen, aber nur für den Titel lohnt sich das natürlich nicht.

1 Trackbacks & Pingbacks

  1. 2015 – Der große Jahresrückblick – like it is '93 // das Popkultur-Magazin

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.




Facebook
Instagram
Twitter
YouTube