Weshalb ich nie Stammkunde eines Plattenladens war

Vinylliebhaber in ihrem Element: Auf der Suche nach Raritäten

2016 wurden allein in Großbritannien 3,2 Million Schallplatten verkauft. Die Menschen scheinen wieder fleißig in Plattenläden zu gehen. Ich gehöre zwar auch zu den Besitzern einer Vinyl-Sammlung, habe das jedoch nie getan.

 

„Während die gesamte Musikindustrie die niedrigsten Umsatzzahlen seit 20 Jahren misst, hat sich die Schallplatte nach oben gearbeitet“, schrieb Matthias Schönebäumer 2008 für die ZEIT online in einem Artikel über den heute immer noch anhaltenden Vinyl-Boom. Die Schallplatte ist chic und schickt sich an, die CD als letztes physisches Abspielmedium zu überleben. Wer hätte das gedacht, nachdem die Compact Disc 1989 das Ruder als meistverkaufte Tonträgerart übernahm und diese Position bis zur Ankunft der mp3 und des Streamings wacker verteidigte?

 

Nach schwarzem Gold graben

 

Nicht umsonst trägt die Schallplatte den Spitznamen „Schwarzes Gold“. Für viele Vinyl-Konsumenten ist es nicht nur der musikalische Inhalt ihrer Schallplatten, sondern auch das ganze Drumherum. Sie ziehen die 31,5 cm x 31,5 cm großen Cover den winzigen CD-Booklets vor, lieben die Prozedur, eine Platte aufzulegen und den Tonarm zu verschieben oder schwärmen vom angeblich wärmeren Sound. Wenn CDs die Fertiggerichte der Musikindustrie sind, ist Vinyl die Gourmet-Kost, die mit jedem Bissen beziehungsweise Ton wertiger schmeckt beziehungsweise klingt.

 

Und auch der Gang zum Plattenladen des Vertrauens spielt für viele Vinyl-Enthusiasten eine riesige Rolle in der Liebe zu ihrem Medium. Ähnlich wie Comicleser mit ihren Comicshops haben sie Anlaufstellen ihres Vertrauens, die sie häufiger besuchen als die Großtante im Altersheim. Dort kennen sie jedes Fach in- und auswendig, gratulieren dem Besitzer jedes Jahr zum Geburtstag und verfallen regelmäßig in stundenlange Gespräche über diese oder jene Band. Ich finde das cool, habe solche Erfahrungen jedoch nie gemacht.

 

Vinyl passt nicht in die Handtasche

 

Schon was gefunden?

Meine erste Schallplatte habe ich mit zwölf Jahren gekauft. Auf einem Flohmarkt in Backnang erstand ich für vier Mark eine Re-Issue von Michael Jacksons „Thriller“. Eine Woche später tütete ich an gleicher Stelle den Soundtrack zu „Ghostbusters 2“ ein. Parallel zu meiner CD-Sammlung, die ich 1996 mit der Maxi-Single von DJ Bobos „Pray“ startete, baute ich mir eine kleine, aber feine Auswahl an Vinyl auf. Leider war ich auf Flohmärkte angewiesen, da der nächste Plattenladen erst im 30 Kilometer entfernten Stuttgart vorzufinden war.

 

Später zog es mich alle zwei Monate in die baden-württembergische Landeshauptstadt. Plattenläden mit Namen wie „Vinyl West“ oder „Soundshop“ betrat ich dadurch als Tourist, der gelegentlich vorbeischaute. So wuchsen über die Zeit ausschließlich die Stapel mit CDs, die wöchentlich durch Käufe im kleinstädtischen Media Markt gefüttert wurden. Neben der Erreichbarkeit eines Plattenladens spielte damals auch der praktischere Umgang mit der CD eine Rolle. Vinyl nimmt man eben doch nicht auf die nächste Party mit.

 

Das Internet wird zum Plattenladen

 

Dann kam die Jahrtausendwende und mein Musikgeschmack fing langsam an, sich zu formen. Die DJ Bobos von damals wurden durch ernsthaftere Bands ersetzt. Parallel zum Musikwissen nahm auch das Internet Fahrt auf. Das machte mir den Erwerb von Musik noch einfacher. Amazon und allen voran Mzee.com lieferten mir Vinyl per Mausklick direkt vor die Haustür. Auf die Suche nach einem echten Stammladen zu gehen, kam mir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in den Sinn. Zumal sich meine damalige Musiklust größtenteils auf HipHop beschränkte.

 

Mit dem Ankommen im Cyberspace gewöhnte ich mich immer mehr an den Luxus des einfachen Bestellens. Einen Schnack mit einem nerdigen Plattenladenbesitzer zu halten oder in verstaubten Kisten zu graben, habe ich nie gelernt, weshalb ich es auch nie vermisst habe. Dass ich nicht in der Plattenladenkultur angekommen bin, finde ich dennoch schade. Als Fanatiker, der einen großen Teil seines Geldes für Musik ausgibt, sollte ich Plattenläden eigentlich als meine Wallfahrtsorte sehen. Vielleicht wird es Zeit, Spätzünder zu werden und auf die Suche nach einem Stammladen zu gehen?!

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