Review: Pyrin – Der rote Teppich im Nichts

Jetzt wird’s ernst: Pyrin ist mit „Der rote Teppich im Nichts“ zurück und gibt allen, die sich Rap mit mehr inhaltlicher und musikalischer Tiefe wünschen, Futter. Es wird sich zeigen, wer das Verlangen tatsächlich hat und sich nun mit diesem Koloss von Album gebührend auseinandersetzt!

 

Pyrin stellt von Release zu Release nicht nur immer wieder unter Beweis, dass er einen präzisen Flow besitzt, der jedes Instrumental von Dubstep, über klassisch boombapig bis hin zum rockinspirierten Beat auseinandernehmen kann, nein, auf „Der rote Teppich im Nichts“ setzt er nun auch seine Stimme als Tonwerkzeug ein und kreiert damit das wohl wichtigste Instrument seiner musikalischen Bandbreite. Ob er dabei eine halbe Kopfstimme bemüht („Zeitinfarkt“) oder grunzt wie die HipHop-Version von Loïc Rossetti („Der rote Teppich im Nichts“, „Antichrist“), Pyrin schert sich schon lange nicht mehr um gängige Rap-Muster. Rap ist nur noch eines von vielen Mitteln, mit denen er arbeitet. Um Abwechslung in seinen neuen Tonträger zu bringen, benötigt der ehemalige Thommy Walker deshalb auch keine Feature-Gäste, die am Ende vielleicht doch nur konzeptschwächende Fremdkörper sein würden.

 

Die Texte auf „Der rote Teppich im Nichts“ laden zu wilder Interpretation ein. Die Lyrics geben so viel her, dass sie gerade noch Sinn machen und so wenig, dass die eigenen Auslegungen hineinpassen. In drei Akte aufgeteilt erzählt Pyrin vom Wunsch nach Eskapismus und Urlaub von sich selbst (1. Akt), dem daraus resultierenden Beginn eines Nervenzusammenbruchs (2.Akt) und der wohltuenden Reflexion mit anschließender Heilung durch Akzeptanz seiner selbst (3. Akt). Die eine definitive Deutung gibt es in derartiger Kunst jedoch nicht. Und ob er in „Eine Pille zu vergessen“ ganz stumpf von exorbitantem Drogenkonsum spricht oder davon, dass er ein Typ ist, der nicht alleine sein kann, verdeutlicht, was für ein Wert für jeden einzelnen Hörer in diesem Werk stecken kann.

 

Pyrin ist glücklicherweise Musikfan genug, sich nicht nur mit anspruchsvollen Texten zufrieden zu geben. In Zusammenarbeit mit Matthias Bromm schuf er opulent instrumentalisierte Beats, die vom Begriff Beat eigentlich so weit entfernt sind wie Lance Armstrong von sauberem Urin. Das Acht-Minuten-Epos „Antichrist“ ist da wohl das beste Beispiel. Sphärisch dümpelt das Instrumental mit spärlichen Keyboardpassagen und blechernen Drums vor sich hin, bis nach einer Minute das knallende Schlagzeug einsetzt und von einem traurigen Bläser begleitet wird. Kurz darauf erklingt Pyrins Stimme, die zunächst nicht erahnen lässt, was im letzten Viertel des Tracks passieren wird. Nach knapp sechs Minuten ertönt ein treibendes Drum-Pattern, das aus dem gemütlichen Mitschunkeln ein aggressives Kopfnicken macht. Ein Vocal-Sample erklingt und Synthies setzen ein. Und dann bricht die Hölle los: Pyrin growlt sich begleitet von E-Gitarren durch ein Instrumental, das alle bis zu diesem Track noch bestehenden Grenzen sprengt. Ab diesem Zeitpunkt kann man sich gar nicht mehr vorstellen, jemals das klassische 16er-Hook-Muster gemocht zu haben.

 

„Ich schöpfe aus einer Welt, die dich einlädt und dich umarmt, aber sich dir niemals öffnet“, heißt es in „Koboldmaki“ und bringt Pyrins Ansatz womöglich am besten auf den Punkt. Denn der Sinn des Tonträgers ist es nicht, Pyrin als intellektuellen Motherfucker zu präsentieren, der jetzt arty-farty-Musik macht und HipHop längst hinter sich gelassen hat. Vielmehr wird das Album von einem avantgardistischen Grundgedanken geleitet, mit dem es seine Hörer herausfordern, verstören, aber auch unterhalten möchte. Und wenn er in „Metalepse“ versucht den eigenen Schaffensprozess zu erklären, kann man das als abgeschreckter Hörer im besten Falle sogar als Einladung nach dem Motto „hey, so ticke ich, komm doch trotzdem mit“ verstehen. Musik, die dein bester Freund sein möchte, aber wie dein schlimmster Alptraum klingt.

 

Ganz ohne Kritik kommt „Der rote Teppich im Nichts“ jedoch nicht aus. 18 Stücke verteilt auf 71 Minuten Spielzeit sind auch für jeden Interessierten eine wirklich harte Kost. Bedeutungsschwangere Manifeste verlangen den Hörern mehr ab als eine Zwei-Stunden-Klausur im Studienfach Elektrotechnik. In Zeiten, in denen von YouTube-Hit bis iTunes-Pole-Position gedacht wird, wird es schwer für Pyrin, ein breiteres Publikum zu gewinnen. Schmerzen wird es ihn sicherlich nicht, denn Trittbrettfahrer zieht sein üppiger Post-Rap-Sound dadurch schon einmal nicht an. Wenn die potentielle Hörerschaft für sich die Frage, wer sich das denn jetzt anhören soll, geklärt hat, bekommt sie ein Album, das man sich erarbeiten muss. Eine Platte, die nicht in drei Hördurchgängen verstanden wird und anschließend in den Weiten des mp3-Archivs verstaubt. „Der rote Teppich im Nichts“ macht Spaß, langweilt, begeistert und strengt an. Eines ist das Album jedoch definitiv nicht: Belanglos und egal. Musik zum immer wieder Neuentdecken!

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