Musik aus Backnang – Meine Favoriten

Im dorfeigenen Jugendzentrum eine Band gründen – in Backnang gehört das zum guten Ton. Eine Liste von Lieblingsplatten aus meiner Heimatstadt.

 

Bei einem Blick auf die Jugend in der eigenen Heimatstadt kommt man selten um die rosarote Brille herum, die die Wodka-Bull-reichen Ferienabende in der schäbigsten Disko des Landkreises nachträglich zum berghainischen Tanzvergnügen hochstilisieren. Dorffeste und Hocketsen waren Pflichttermine, deren Nichtbesuch einem gesellschaftlichem Selbstmord gleichkam und die Fahrten mit der S- oder Regio-Bahn in die nächstgrößere Stadt ließen einen glauben, man wäre Audrey beim Frühstück vor den Schaufenstern von Tiffany. Irgendwann treibt es die Jugend jedoch weiter und das letzte Pils wurde in der Dorfkneipe gekippt, das letzte Mal wurde die altbewährte Buslinie benutzt, die einen jahrelang sicher zum Elternhaus gebracht hat: Studium und Beruf treiben die Dorfpunks von damals raus aus der Heimat und rein in den Ernst des Lebens. Das Schöne daran ist, die Musik von damals bleibt.

 

Ich bin in der Backnanger Bucht aufgewachsen: Erst in Sachsenweiler, anschließend in Weissach im Tal und zuletzt noch einmal in Backnang. In dieser Zeit habe ich viel Musik aus Backnang und Umgebung gehört, viele Künstler persönlich kennengelernt und auch selbst Musik gemacht. Was mich an dieser Stadt dabei immer faszinierte, war die unglaubliche Menge an kreativen Menschen. Gefühlt jede Schulklasse brachte eine Band hervor, die nicht nur Spaß, sondern auch Ambitionen hatte. Ich behaupte einfach mal, dass das 35.000 Einwohner-Städtchen Backnang, das rund 30 Kilometer nordöstlich von Stuttgart liegt, mehr Bands und Musiker in die Welt hinausgeschickt hat, als es das Liverpooler Institute for Performing Arts je tun wird. Egal ob Breschdleng, Flymoe, Eatlichifones, Träum Weiter, Eternal Struggle, Eat The Wolf, Crisis Never Ends, Wombat Goes !BAM!, Lowlife oder The XXX, eine komplette Aufzählung wäre länger als die Teilnehmerliste des Backnanger Silvesterlaufs. Und da dieses Wochenende das 44. Backnanger Straßenfest stattfindet und unter anderem auf der JUZE Bühne lokale Bands zeigen, was sie die letzten 365 Tage in ihren Proberäumen so getrieben haben, möchte ich euch meine persönlichen Lieblingspatten aus dieser Gegend vorstellen.

 

Viuda Negra „Megalomania In A Small Space“

Als „Megalomania In A Small Space“ von Viuda Negra 2002 veröffentlicht wurde, steckte ich noch tief drin in meinem Leben bestehend aus Rap und Backspin-Abo. Kein Wunder, dass ich erst sieben Jahre nach Erscheinen per Geschenk auf die CD aufmerksam wurde. Schade eigentlich, denn diese zugängliche Härte, die ungebremst und ungeschliffen Eindruck auf mich machte, begeistert mich noch heute. „Man Made Reverie“, „Impressions From Caracas“ und „L.R.L“ sind nur drei der sechs Stücke dieser EP, die fleißig Wiedergabepunkte in meiner Anlage sammeln. Später haben einzelne Mitglieder übrigens bei Yasmine Tourist und Submarien musiziert.

 

Blinded Halo „Wings Of Clarity“

Da hatte ich die Band gerade lieb gewonnen und schon löste sie sich auf. So zumindest habe ich meine Zeit als Hörer von Blinded Halo in Erinnerung. 2010 erschien die 7-Tracks-EP „Wings Of Clarity“ und eigentlich habe ich mir die Platte nur aus Sympathie zu den vier Backnangern gekauft. Nur deshalb hätte ich das aber gar nicht machen müssen, denn auch wenn Blinded Halo aus Idioten bestanden hätte, die Musik würde mich auch so überzeugen. Stücke wie „As Daylight Dies“, „What About Your Dreams“ oder „Can’t Control Myself“ kann ich noch heute wahlweise mitsingen oder mitgröhlen, wenn sich der Shuffle dazu hinreißen lässt, im Backnang-Ordner zu wildern.

 

Rather Be Fat „St. Timmy“

Rather Be Fat ist wohl bis heute meine Lieblingsband aus Backnang. Ertönt einer der Songs von der 2007 erschienen EP „St. Timmy“ kommt dieses Freiheitsgefühl auf, das nur sechs Wochen Sommerferien versprühen können. „Drunken But True“ bläst jedem, der sich schon mittags besoffen auf der Bleichwiese verläuft, das schlechte Gewissen weg, „Storybook“ verwandelt Backnang in eine englische Arbeiterstadt, die bei aller Härte verdammt herzlich ist und „Save My Name“ animiert, bei den Kumpels durchzurufen und zum Schiffbasteln für die Murr-Regatta einzuladen. „Backnang Brewed Premium Punkrock“ wie es die fünf Sympathen selbst beschreiben.

 

Sidewalk „Symbiosis“

Heute nennen sie sich We Are Rinah. Nach all den Jahren als Sidewalk wirkt das erst einmal reichlich gewöhnungsbedürftig, macht aber durchaus Sinn. Denn wie ungooglebar ist denn bitte Sidewalk?! Da könnte man sich ja gleich „The Internet“ nennen. Meine persönliche Lieblingsplatte der fünfköpfigen Gruppe, die mit Klarinette und Violoncello Klez’n’Roll ballert, ist das 2010 veröffentlichte „Symbiosis“. Nach „Fish Poem“ von 2005 und „Power, Klez’n’Roll“ von 2008 ist dies eindeutig die Platte mit den meisten Das-Ding-reifen Hits. Mit „Things To Be Forgotten“ werden die Kehlen beim Ohrwurmrefrain heißer geschrien, mit „Unspoken Words“ die Knie weich getanzt und mit „Force Of The Sound“ die Schultern beim Pogen wundgeklopft. Ganz tolle Platte.

 

Never Back Down „Don’t Take It For Granted“

Neben den Jungs von No End In Sight, die im Heutensbacher Jugendhaus mit der Kinderzimmer-EP „Pray For Nothing“ gestartet und nun von Stuttgart aus mittlerweile in ganz Europa spielen, haben mich 2005 Never Back Down das erste Mal für den Hard- und Metalcore in all seinen Spielarten begeistert. Bis dato hatte ich keine wirklichen Berührungspunkte mit diesen Genres und würde mich auch heute nicht als einen Fachmann bezeichnen, doch ein ehrlich gemeintes Interesse besteht. Nicht zuletzt dank Never Back Down, deren kleinen Hit „Answers“ ich noch heute feiere, als wäre Geburtstag. Die sechs Stücke der EP „Don’t Take It For Granted“ machen noch heute Spaß. Sei es „Friendship“, das einem mit Rap-Part und gesungenem Refrain die Haare aus dem Gesicht bläst, oder „Faith“, das großzügig Einladungsschreiben zum Gangshouten rausschickt, diese und auch die zweite EP „To Those Who Search For Brightened Days“ bocken richtig.

 

V.A. „Backnang Hits“

Den vom JUZE Backnang initiierten Sampler „Backnang Hits“ habe ich 2007 im Keller unseres Proberaums in der Winnender Straße gefunden. Der lag da einfach zwischen alten Reifen, getrockneten Farbeimern und leeren Bierflaschen herum. Eine Schande. Eine Schande auch, dass ich mich erst so spät mit der Musik aus und um Backnang beschäftigt habe, denn als ich mein „leicht“ heruntergekommenes Exemplar in den CD-Player steckte, tat sich eine Welt für mich auf, von der ich schon viel gehört hatte, aber letztlich nichts wusste: Unter anderem Down Eight One, The Fön, Tut Das Not, Porno AC’s und natürlich der Schwabenkracher „Seifert’s Fritz“ von Breschdleng.

 

V.A. „Beat Yer Heart Out“

Für den „Backnang Hits“-Nachfolger „Beat Yer Heart Out“ musste ich nicht erst feuchte Kellerlöcher durchforsten, den habe ich mir 2006 direkt auf dem Backnanger Straßenfest gekauft. Und auch wenn ich den einen oder anderen Song schon von vorangegangen Veröffentlichungen kannte, machte mich der Sampler ob der kreativen Kraft, die die Backnanger hatten, fröhlicher als Alfred Jodokus Quak: Unter anderem wieder Breschdleng diesmal mit dem ebenso krachigen Kracher „Roschdich“, die Eatlichifones mit meinem Sommer-in-Backnang-Sound „Nice To Eat You“, Eat The Wolf mit dem dümmlich gereimten, aber ohrwurmigen „Affäre“ und die Tony Montanas mit dem Tanzflächenfüller „Black Pearl 2006“. „Get in touch with those mighty powers of BK!“

 

Es tut mir Leid, wenn ich wichtige, gute und große Künstler aus Backnang und Umgebung vergessen oder nicht erwähnt habe. Mit meinen noch jungen Jahren habe ich nicht alles, was in der Murrmetropole passiert ist, mitbekommen. Wem dieser Text nicht reicht und wer nun einen umfassenden Überblick zum Thema haben möchte, sollte „The Backnang Rock City Archives“ besuchen.

4 Comments

  1. Stefan, Stefan, Stefan… a trip down memory lane!
    Als ich selbst noch im Backnanger Dunstkreis Musik gemacht habe (es werden keine Bandnamen genant), hießen Blinded Halo noch Heap of Junk und Never Back Down noch… Mann, wenn mir das jetzt einfallen würde…
    Noch wichtig zu erwähnen:
    – TYPHUS, das bekloppte Nebenprojekt von Leuten von Flymoe (Ich kann noch immer fast jeden Text auswendig!)
    – The Offbeat Express aka Expresskapelle Donnerschranz
    – Eatlichifones
    – Crisis Never Ends

    Oh Stefan was tust du mir mit diesem post an 😀
    Es läuft „Drunken But True“ und ich erinere mich ans JUZE Backnang wo ich den hochgeschätzten Betreiber des blogs als einzigen Baggy-Tragenden, Banane-essend auf einer Hardcore-Show kennenlernen durfte.

    Helft mir mal: wie hiess diese locker 10-köpfige Band (aus Backnang?) die Reggae oder Ska oder so etwas gespielt hat? Die hab ich als junger Mensch etliche Male live geshen, unteranderem in den Wagenhallen und aus einer Wiese beim Backnanger Freibad.

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  1. Podcast-Folge 43: Backnang – like it is '93 // das Popkultur-Magazin

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