Review: Haftbefehl – Blockplatin

 

Kaum ein anderer deutschsprachiger Rapper polarisierte in den letzten Jahren so sehr wie der Offenbacher Haftbefehl. Das Sprachrohr der Generation Azzlack wurde wegen Straßenrap-Innovationen gefeiert, angeblicher Talentlosigkeit belächelt und zweifelhaften politischen Aussagen kritisiert. Möchte man sich jedoch ernsthaft mit dem Phänomen Haftbefehl beschäftigen, genügt ein zur Hälfte angespielter Song samt unüberlegter Schmähung genauso wenig, wie ein übergestreiftes Thug-Life-T-Shirt und das Anspringen auf die simpelsten Parolen.

 

Denn ob man ihn nun feiert, belächelt oder kritisiert, Haftbefehl ist ein ergiebiges Thema vieler Diskussionen. Nicht umsonst werden seine Videos auf YouTube mit Kommentaren zugepflastert, die von „Als meine Mutter reinkam, schnell auf eine Pornoseite wechseln. Das ist einfacher zu erklären.“ bis zu kopfschüttelerzeugendem Quatsch wie „Ich fick euch Juden! Israhell Alter, das sind keine Menschen mehr!“ (zum Track „Free Palestina“) reichen. Am 25. Januar erschien Haftbefehls drittes Studioalbum „Blockplatin“. Grund genug, sich einmal mit dem Mann, der neuerdings argentinische Steaks in der Präsidentensuite des Hiltons verspeist, und seinem aktuellen Schaffen etwas genauer auseinanderzusetzen.

 

Da wird nicht mit Toto & Harry gefickt

 

Mit „Blockplatin“ versucht sich Aykut Anhan, wie Haftbefehl mit bürgerlichem Namen heißt, an einer Art Konzeptalbum. Als Doppel-CD verpackt besticht die erste Seite („Block“) durch typische Ellbogen-raus-Stampfer, die immer wieder Richtung Berufsschulraucherecke schielen. Seite Zwei („Platin“) geht inhaltlich zum Teil in etwas persönlichere Gefilde und ist durch die eine oder andere gesungene Hookline und etwas handzahmere Beats poppiger ausgefallen. Mit nach vorne treibenden Stücken wie „Ja Ja Ve Ve 2“, „Money Money“ oder „Locker Easy“ hat „Block“ trotzdem sein musikalisch zugekokstes Näschen vorne. Im Gehörgang hängenbleibende Kehrverse und Beats, die sich am Boombap New Yorkscher Schule und französisch-synthiegeschwängerten Straßenrap bedienen, zeichnen dieses Album aus. Inhaltlich werden Mütter (besonders häufig die von Barack Obama), die Schwestern von Hatern und Bitches im Allgemeinen gefickt. Dazwischen wird immer wieder vermeintlich autobiografisches und/oder realitätsnahes von den Frankfurter Straßen berichtet. „Blockplatin“ ist ein Tonträger, den man nicht hört, weil man technisch hochwertigen Perfektionsrap mit bierernsten Themen im Ohr haben möchte. „Blockplatin“ verkörpert viel eher den Proleten, den jeder ein kleines bisschen in sich trägt. Denn in Haftbefehls Musik geht es schon lange nicht mehr um Authentizität. Viel eher um die Darstellung einer Figur, die man so auch aus Filmen wie „Scarface“ oder „Blow“ kennt.

 

„Ich fick deine Ma’ zehn Mal, Haftbefehl, baaaaam“, gibt der Rapper mit den kurdisch-zazaischen Wurzeln im „Intro“ von sich. Und da ist die Krux der ganzen Sache. Haftbefehl braucht nicht die um die Ecke gedachten Vergleiche eines Kollegahs oder die Argumente eines gut vorbereiteten Anwalts. Haftbefehl genügt ein „baaaaaam“ und fertig. Nicht weil es inhaltlich top ist, sondern weil es dank der intonierten Präsentation, einer Ladung gespuckter Arroganz und jeder Menge Style einfach nur cool rüberkommt. Für Großstadtkids aus schwierigen Verhältnissen womöglich ein Stück in die comichafte überspitzte Realität, für alle anderen ein Soundtrack zum asozial sein. In Haftbefehls Welt ist nicht vom Polizisten oder gar Bullen die Rede. Nein, Haftbefehl rappt einen Actionfilm, in dem der Schutzmann zum Officer hochstilisiert wird. Ein gefährlicher Gegenspieler direkt aus einem Hollywood-Streifen, dem sich der Protagonist – so mutig wie er ist – trotzdem stellt. Da wird definitiv nicht mit Toto & Harry im grün weißen Kastenwagen gefickt. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass Haftbefehl mit derartigen Gangsta-Tales eher ein etwas anstrengenderes Publikum anzieht als beispielsweise ein Heino (zumindest vor seiner Cover-Platte).

 

Haftbefehl kontert mit seiner P99

 

Auf Kritik an seinem mangelnden Intellekt kontert ein Haftbefehl mit lyrischen Schusssalven aus seiner P99. Denn ihn als völligen Vollpfosten mit keinerlei Talent für irgendetwas abzustempeln, wäre Hohn. „Er sei nicht nur asozial, sondern auch völlig unbegabt, hieß es von den in der Szene tonangebenden HipHop-Fundamentalisten. Dabei wird man kaum einen anderen Rapper finden, der so plakativ und so bildhaft erzählt wie er – was ihn für Straßenkids und Intellektuelle gleichermaßen anziehend macht.“, hieß es Anfang 2012 in einem von Marcus Staiger verfassten Artikel für die Berliner Zeitung. Ritterschläge von Szeneinternen wie Dexter, sido oder Marteria gaben dem Künstler Haftbefehl den Rest benötigter Kredibilität. Es ist mittlerweile nicht mehr schwer oder mutig Hafti, wie er von Freunden genannt wird, gut zu finden.

 

Wer sich mit Haftbefehls Texten ernsthaft auseinandersetzt, wird seinen Spaß haben. Dieser Sprachenkauderwelsch, diese außergewöhnliche Betonung, dieser Umgang mit Reimen und diese Verwendung von Symbolik sind im deutschen Rap einzigartig. Und dank Farid Bangs Feature auf „Chabos wissen wer der Babo ist“ merkt man als Hörer relativ schnell, weshalb ein Haftbefehl unbedingte Daseinsberechtigung besitzt. Denn wo ein Farid Bang mit uninspirierten Wie-Vergleichen, ungelenkem Flow und nervig nasaler Stimme schon nach einem halben Part nervt, fetzt Haftbefehl auch noch nach dem zehnten Hördurchgang, weil auch nach dem zehnten Hördurchgang noch nicht alles verstanden wurde.

 

Wir sind nur Zaungast – das kratzt am Ego

 

Haftbefehl erklomm mit „Blockplatin“ nach den beiden schon sehr erfolgreichen Vorgängerwerken „Azzlack Stereotyp“ (Platz 59) und „Kanackis“ (Platz 10) die nächste Stufe seiner Karriereleiter. Platz 4 in der ersten Woche ist auch in einer Zeit, in der jeder deutschsprachige Rapper mit einem halbwegs anständigen Internethype chartet, eine vorzeigbare Leistung. Zumal Haftbefehl mit diesem Erfolg seinen Weg nach oben unterstreicht und allen Zweiflern, die ihm einen baldigen Karriereknick attestierten, ordentlich Gegenwind gibt. Oder wie er es in „Erst der Himmel ist Limit“ selbst formuliert: „Erst der Himmel ist Limit, Azzlack unser Team, damals Aggro Berlin, heut Baba Haft Nummer bir“ (bir = türkisch für eins).

 

Als Rap-Hörer, der Ende der neunziger Jahre während des ersten großen deutschen HipHop-Hypes mit dieser Kultur in Kontakt kam, schmeckt einem dieser Haftbefehl womöglich nicht. Denn wenn Haftbefehl seine Brüder mit schwarzen Haaren in Alemania willkommen heißt, sind nicht wir, die in Einfamilien- und Reihenhäusern aufgewachsen sind, gemeint, sondern die, die dieses behütete Leben eben nicht kennen. Wir sind zwar herzlich eingeladen zuzuschauen, gehören aber nicht in Haftbefehls Welt. Kratzt am Ego, wenn man zum Zaungast degradiert wird, oder? Aber sich angesprochen Fühlende sollten sich locker machen. Ice Cube und Snoop Dogg reden auch über den Kram, den wir nur aus GTA kennen, ihre Platten füllen trotzdem unsere Regale.

6 Comments

  1. das ist jetzt de rmoment in dem ich zugeben kann dass ich “chabos wissen..” auswendig kann.

  2. Ui, hättest du auch schon ruhig davor! 😛

  3. Intelligenter Bericht. Danke schön.

  4. Da schwelgt man in alten Erinnerungen wenn man den Text liest! Gleich mal wieder die Platte rauskramen! War schon Baba!

1 Trackbacks & Pingbacks

  1. 2013 – Der große Jahresrückblick – like it is '93 // das Popkultur-Magazin

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