Review: Shema & der Nussigmilde – Dachbodenstyles
Zurückgelehnte Musik für Menschen, die nicht deshalb keinen Führerschein besitzen, weil sie faul sind, sondern weil sie lieber Bus und Bahn fahren. Dabei hören sie bestenfalls „Dachbodenstyles“ von Shema und dem Nussigmilden.
Shema und der Nussigmilde sind vielbeschäftigte Multitalente, die schon seit einiger Zeit durch Stuttgarts Straßen geistern. Egal, ob sie mit Live-Band von Auftritt zu Auftritt tingeln, mit „Schmoof“ eine der letzten funktionierenden Jam-Reihen der Landeshauptstadt veranstalten oder die lokale Szene sympathisch arglos per WordPress-Blog supporten, die beiden Wortsportmusikanten aus Cannstatt und Zuffenhausen ziehen ihr Ding mit Herzblut durch. Das Album „Dachbodenstyles“ ist hierfür der frischste Beleg.
Shema und der Nussigmilde sind zwei aufgeweckte Buben, die – möchte man dem Infotext auf ihrer Homepage Glauben schenken – mit Rap Spaß haben wollen. Per se keine schlechte Sache in Zeiten, in denen wohlgenährte Vorstadtkids ab dem 100. Twitter-Follower die Spielübernahme ausrufen und anschließend für das VBT vor der Kamera die Milchzähne fletschen. Wäre das S&Ns Ding, würde „Dachbodenstyles“ jetzt freilich „Dachbodenstylez“ heißen und sie auf Synthiebeats vom zusammengeträumten „Stadium Status“ fabulieren.
Stattdessen erzählen sie auf „Dachbodenstyles“ von den kleinen und alltäglichen Dingen: Mit den Freunden im Park chillen, eine gediegene Runde Alkohol trinken, den Schwarm von Nebenan anhimmeln, Kekse essen und, und, und. Dazwischen wird in die Rolle eines Möchtegern-MCs auf der Überholspur geschlüpft („Fly Mcee“), anhand von konkreten Beispielen über die eigenen Schwächen referiert („Wie das Leben so spielt“) oder herumgekaspert („Kinees“). Zwei harmlose Jungs feiern nicht sich, sondern ihren Sound, der sich mit einfallslosen Adjektiven wie jazzig, warm und samplebasiert beschreiben lässt. Der eine oder andere selbsternannte HipHop-Kritiker würde möglicherweise den Begriff BoomBap in den Raum werfen.
Doch „Dachbodenstyles“ ist als nur gute Musik im klassischen HipHop-Kostüm. Diese Platte wurde gemacht, damit sie live zum jammen „missbraucht“ werden kann. Ein komplett instrumentales Outro sowie viele Songs, die dem Hörer nach der letzten Hook noch ein paar Takte ohne Rap spendieren, verdeutlichen dies. Und wer die Bühnenqualität dieser Platte nicht auf Anhieb erkennt, dem treten die Jungs mit dem zum Rap-Track gewordenen Vorschlaghammer „Papierflieger“ die Tür ein.
Vocal-Cuts von unter anderem Nico Suave, Digger Dance und den Massiven Tönen unterstreichen, wie, wann und wo die HipHop-Sozialisation von Shema und dem Nussigmilden stattfand. Gerade der Nussigmilde neigt zu extremeren Betonungen und spielt mit seiner Stimme als wäre Flowin‘ Immo zurück. Daran könnte sich der Red-Café-Fanclub stoßen, Menschen mit Geschmack erkennen dagegen den Charme. Shema und der Nussigmilde, welcher sich auch für Beats, Cuts und Scratches verantwortlich zeigt, harmonieren stimmlich perfekt. So perfekt, dass kaum Ausfälle zu beklagen sind. Das Album ist in sich stimmig, besticht durch eine optimale Spiellänge und wird durch ein schmuckes CD-Artwork abgerundet.
„Das Leben ist kein Würfelwerfen und kein Kartenspielen“, heißt es auf „Wie das Leben so spielt“. Musik rezensieren ebenso wenig. Da zählt der persönliche Geschmack eines Einzelnen, der das, was er über eine Platte denkt, dann auch möglichst schlüssig und nachvollziehbar wiedergeben sollte. Im Falle von „Dachbodenstyles“ ist das ein höchst dankbarer Job. Denn diese Platte funktioniert so, wie sie gemacht wurde.
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