Der goldene Handschuh: Heinz Strunk schreibt so abstoßend wie faszinierend

Heinz Strunk versetzt sich in seinem neuen Roman „Der goldene Handschuh“ in die Gedankenwelt des Serienmörders Fritz Honka. Ein Buch, das so abstoßend ist, dass es schon wieder fasziniert.

 

Die Bild-Zeitung stilisierte den Serienmörder Fritz Honka in den siebziger Jahren zum großen Schreckgespenst der Nation hoch. Das personifizierte Böse, das in den dunklen Spelunken Hamburgs lauert, um wehrlosen Opfern auf möglichst abstoßende Art und Weise den Garaus zu machen. Zwischen 1970 und 1975 tötete und verscharrte der 1998 verstorbene Honka vier Frauen, bis ihm 1976 der Prozess gemacht wurde. Heinz Strunk nahm alle seine Nerven zusammen und versetzte sich in die Lage dieses Menschen. Mit „Der goldene Handschuh“ erschien im Februar dieses Jahres über den Rowohlt Verlag ein Roman, der es sich zwischen Abstoßung und Faszination gemütlich macht und dem Leser Identifikations- und Projektionsflächen bietet, die er immer wieder selbst hinterfragen muss. Denn selbst im schrecklichsten Verbrecher der Welt steckt irgendwo etwas Menschliches.

 

Ungeheuer mit Menschlichkeit und Würde

 

„Der goldene Handschuh“ spielt zu großen Teilen der 254 Seiten in der St.-Pauli-Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“, die – gegründet von einem Ex-Boxer – als Zufluchtsort für die armen Seelen gilt, die niemand vermissen würde. Für Fritz Honka, von allen nur Fiete genannt, ist diese heruntergekommene Klitsche ein zweites Wohnzimmer, in dem er soziale Kontakte pflegt und erste Beziehungen zu zukünftigen Opfern aufbaut. Selten verlaufen sich „normale“ Menschen wie Gisela von der Heilsarmee in den Handschuh und tun es letztlich auch nur, um den Leser daran zu erinnern, dass es da draußen noch anständige Menschen mit erträglichen Lebensumständen gibt. Heinz Strunk beschreibt eine Welt, von der man nur gehört hat – in Bild-Zeitungsartikeln und anderen reißerischen Publikationen. Hier Menschlichkeit und Ansätze von Würde hineinzuschreiben, macht in der Regel niemand und daher wirkt der Roman auch so bizarr.

 

Heinz Strunk feierte seinen ersten Erfolg als Autor mit dem 2004 erschienenen autobiografischen Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ und ist zusammen mit Rocko Schamoni und Jacques Palminger Teil des Künstlerkollektivs Studio Braun. „Der goldene Handschuh“ war bisher wohl eine seiner größten Herausforderungen, denn was beim Lesen vor Ekel wehtut, kann beim Schreiben nicht angenehmer gewesen sein. Sich schlüssige Gedanken über ein menschenverachtendes Weltbild zu machen, ist keine Spaßarbeit, die man mal eben zwischen „Drei Eier im Glas“ und Fraktus-Platte hinrotzt. Und um diese perfide und abscheuliche Sicht auf das Leben schlüssig darstellen zu können, braucht es einen Protagonisten wie Fiete. Man merkt es beispielsweise in den Interaktionen mit der Putzfrau Helga. Hier verspürt Fiete tatsächlich Sympathie, doch die Stimmung kippt im Laufe der Interaktionen unangenehm spürbar. Fiete besitzt eine völlig verquere Wahrnehmung und sieht sexuelles Verlangen, wo keines ist.

 

Innerliche Verwahrlosung ist kein Unterschichtenproblem

 

Strunk springt immer wieder in der Perspektive. Mal wechselt er die Figuren, mal ich- und er-Sicht. Dadurch ist der Leser nicht in Fietes Kopf gefangen und seinen schrecklichen Gedanken völlig hilflos ausgesetzt. Man kann sich erholen und Kräfte für die nächste entsetzliche Hasstirade Honkas sammeln. Um zu zeigen, dass innerliche Verwahrlosung kein exklusives Unterschichtenproblem ist, hat Strunk mit dem monetären und moralischen Abstieg einer fiktiven Reedereifamilie noch einen weiteren Handlungstrang in den Roman eingeführt, der zartbesaitete Leser letztendlich komplett am Guten im Menschen zweifeln lässt. Doch auch ein Fritz Honka hat Träume, Hoffnungen und Ziele. Er bekommt Lust am besseren Leben, als er einen Job als Nachtwächter annimmt und dabei merkt, wie gut ihm der geregelte Arbeitsalltag tut. Oder wenn er nüchtern an einer Schifffahrt teilnimmt, sich an den Eindrücken berauscht und darüber staunt, wie aufmerksam er auf einmal ist. Strunk tut hier etwas, was sich in popkulturellen Veröffentlichung nicht viele trauen: Er spricht Monstern (den Wunsch nach) Normalität zu.

 

Man ahnt, dass es Fiete einmal besser ging, was durch Figuren wie seinem weniger kaputten Bruder Siggi, dem er mit allen möglichen Mitteln imponieren möchte, deutlich wird. Irgendetwas ist in der Vergangenheit passiert, doch ob die Geschichten mit den Schlägen in der Kindheit oder dem „Unfall“ mit dem Traktor tatsächlich wahr sind, möchte man einfach nicht glauben. Denn das wäre ja eine Erklärung, gar eine Rechtfertigung für diesen abscheulichen Menschen. Stattdessen ist man schockiert, wenn noch fertigere Gestalten auf Fiete treffen und sich diesem sogar unterordnen. Hat man sich erst einmal eingelesen und an das abstoßende Treiben gewöhnt, spürt man dennoch den Reiz an dieser Spirale des Schreckens. Strunk hat sich in die grausige Gedankenwelt eines Ungeheuers eingearbeitet und mit „Der goldene Handschuh“ eine spannende Kriminalgeschichte abgeliefert, die auf eine feinsäuberlich ausgearbeitete Milieustudie trifft.

 

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