Review: Demolition – Lieben und Leben

Jake Gyllenhaal verliert in „Demolition – Lieben und Leben“ seine Ehefrau und geht anschließend auf einen Selbstfindungstrip. Ob er dabei tatsächlich zu sich selbst findet oder doch nur den Verstand verliert, ist dabei völlig egal.

 

Davis Mitchell feiert als Investment-Banker einen Erfolg nach dem anderen, lebt in einem todschicken Traumhaus und ist mit einer wunderschönen Frau verheiratet. Bis er diese bei einem Autounfall verliert und daraufhin beginnt mit Hilfe einer neuen Bekanntschaft sein Leben wieder zu ordnen. „Demolition – Lieben und Leben“ ist das neue Filmdrama von „Dallas Buyers Club“-Regisseur Jean-Marc Vallée und zieht den Zuschauer von Beginn an in seine Welt. Denn wenn der von Jake Gyllenhaal mit dem immer gleichen leeren Gesichtsausdruck gespielte Davis zehn Minuten nach dem Tod seiner Frau eher darüber nachdenkt, sich beim Kundendienst über einen defekten Süßigkeitenautomaten auf der Intensivstation zu beschweren, statt sichtlich zu trauen, ahnt man als Zuschauer, dass Davis ein ziemlich kaputter Typ ist. Oder vielleicht doch nicht?!

 

Über den besagten Kundendienst lernt er die von Naomi Watts gemimte alleinerziehende Mutter und Flatrate-Kifferin Karen kennen, zu der er eine respektvolle und vor allem freundschaftliche Beziehung aufbaut. Der Film möchte von vorneherein klarstellen, dass es sich hier nicht um eine Romanze handelt, indem er Karen gleich zu Beginn die Worte „Ich kann nicht mit dir schlafen“ in den Mund legt. Das scheint in diesem Moment sowohl für Davis als auch den Zuschauer okay zu sein, denn beide begreifen, dass hier kein wildes Abenteuer, sondern ein gemeinsamer Selbstfindungstrip im Mittelpunkt steht. Diese Suche wird durch Karens 15-jährigen Sohn Chris – herrlich nachvollziehbar rebellisch von Judah Lewis verkörpert – noch einmal verstärkt, da die jugendliche Entdeckungslust auf Davis überschwappt und ihn zwingt, darüber nachzudenken, was er eigentlich im Leben möchte.

 

Im Laufe des Films stellt Davis entsprechend sinnig fest, dass er seine Frau eigentlich gar nicht geliebt und sie nur geheiratet hat, weil das eben der leichteste Weg war. Davis stellt alles in Frage, nimmt, bewaffnet mit Vorschlaghammer, erst sein Haus und dann sein Leben auseinander, um es zu verstehen und anschließend wieder zusammenzusetzen. Leider ist das mit dem Zusammenbauen nicht so einfach wie gedacht. Als Zuschauer fragt man sich, ob Davis – der kein Problem damit zu haben scheint, in einem völlig kaputten und seinem Seelenleben als Metapher dienenden Haus zu leben – den Verstand verloren hat. In einer Autofahrszene, in der er über seine Frau nachdenkt und parallel Chris‘ laute Musik ertragen muss, denkt man kurz, die Stimmung würde kippen. Doch Davis fängt sich. Zufriedener scheint er zu werden und ohne spoilern zu wollen, schließt er durch gewisse Entdeckungen auch Frieden mit seiner verstorbenen Ehefrau. Er kann loslassen und beginnt, auf seine eigene Art und Weise zu trauern, um darauf aufbauend ein glücklicherer Mensch zu werden.

 

Die von Chris Cooper und Polly Draper gespielten Schwiegereltern des Witwers verstehen das nicht, denn die gehen den klassischen Weg, lassen ihre Trauer von Anfang an raus und gründen zu Ehren ihrer verstorbenen Tochter gar eine Stiftung. Sie stellen sich gegen Davis und seine vermeintliche Respektlosigkeit und Kälte, wirken dabei aber nicht wie Widerparts zum „schillernden Helden“. „Demolition“ ist traurig, witzig, herzerweichend und cool, fesselt von der ersten bis zur letzten Szene und hätte ruhig statt der 100 weitere 30 Minuten gehen können. Ein gutes Zeichen für einen Film, der ohne altbewährten Spannungsbogen auskommt und den Zuschauer dadurch immer wieder überrascht. Man ahnt nie, worauf es hinauslaufen wird, worauf es hinauslaufen soll. Man schaut den Figuren einfach dabei zu, wie sie sich langsam wieder zurechtfinden. Sei es Davis, der lernt sein Leben zu leben, Karen, die sich aus ihrer nicht ganz so prickelnden Liebesbeziehung zu ihrem Chef befreit oder Chris, der beginnt, sich mit seiner sexuellen Orientierung auseinanderzusetzen.

 

„Demolition – Lieben und Leben“ läuft seit dem 16. Juni in den deutschen Kinos und ist für mich persönlich die größte Überraschung des aktuellen Kinojahres.

 

1 Trackbacks & Pingbacks

  1. 2016 – Der große Jahresrückblick – like it is '93 // das Popkultur-Magazin

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.




Facebook
Instagram
Twitter
YouTube